Aus der Hand des Himmels nehmen sie Stunde um Stunde, was ihnen gegeben wird: Sonne, Regen, Nebel, Schnee, Wärme und Kälte, Wohlsein und Not.
Hermann Hesse
Was bewegt einen, die Komfortzone der schönen neuen Welt zu verlassen, um mit einem Packpferd ohne Sicherheiten durch die Lande zu ziehen?
Der tiefe Bezug zur Natur, der mich seit frühester Kindheit prägt, die damit verbundene Lebenserfahrung, Lebensqualität und die daraus erwachsende Lebensfreude sind wohl die treibenden Kräfte hinter dieser Entscheidung. Ich hatte das Glück, als Kind in der Wildnis mit all ihren Risiken und Herausforderungen aufzuwachsen. Diese Erfahrungen waren nicht selten haarsträubend und für heutige Verhältnisse unvorstellbar – doch gerade sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin.
Das einzigartige Lebensgefühl, das ich damals in der natürlichen Umgebung erfahren durfte, war in der neoliberalen Gesellschaft trotz all ihrer Versprechungen nie zu finden. So stellte sich mir die Frage, ob ein selbstbestimmtes Leben in der Natur – außerhalb gesellschaftlicher Strukturen und Abhängigkeiten – mich wieder zu dem machen kann, was ich als Kind war: glücklich.
Der Gedanke, mich wohnsitzlos und mit einem Packtier wandernd in die Natur zu integrieren, wurde zur Vision. Ein Weg, der mich den Abhängigkeiten, der Lieblosigkeit und den zahlungspflichtigen Scheinversprechungen dieser Gesellschaft entzieht. Dieser Entschluss hat sich durchgesetzt und ist bis heute richtungsweisend für mein Leben. Es ist nicht immer leicht, aber immer spannend.
Diesen Weg zu gehen, erfordert Mut – ein Gut, das in unserer angstgetriebenen Welt selten gefördert wird. Ohne Sicherheiten vertraue ich nur meiner Persönlichkeit, meiner inneren Stimme, meinem gesunden Menschenverstand und dem, woran ich glaube.
Ist es möglich, mit einem Packpferd draußen in der Natur autark und frei seinen eigenen Weg zu gehen?
Ja, es ist möglich – auch wenn es zunächst unmöglich erscheint und ein Wissen erfordert, das an keiner Schule gelehrt wird. Jeder könnte es tun, aber nicht alle – das wäre fatal. Unsere Landschaft wird großflächig land- und forstwirtschaftlich genutzt. In diesen Strukturen einen natürlichen Lebensraum zu finden, ohne mit den Interessen der Gesellschaft in Konflikt zu geraten, ist schwierig.
Doch warum sollte es mir nicht gelingen, wie die wenigen Wildtiere, die noch frei und autonom leben? Die Natur, die mich schon als Kind gelehrt hat, mutig zu sein und meine Ängste zu überwinden, ist die beste Verbündete. Lieber am eigenen Glauben scheitern, als ein Leben lang nicht den Mut zu finden, seinen eigenen Weg zu gehen.
Was dann trotz aller Unkenrufe und negativer Prognosen aus meinem Umfeld auf mich zukam, war nicht vorhersehbar. Die Befreiung von Abhängigkeiten war ein großartiges Erlebnis. Doch was das Leben für mich als wohnsitzloser Landstreicher außerdem bereithielt, übertraf bei weitem meine kühnsten Vorstellungen. Es war ein Leben voller Freiheit, Autonomie und Nähe zur Natur – fernab gesellschaftlicher Normen und Werte.
Durch diese Erfahrungen habe ich ein neues Bewusstsein für unsere Gesellschaft entwickelt. Ich kann mit ihr umgehen, doch wirklich wohl fühle ich mich nur draußen in der Geborgenheit der Wälder.
Das freie, unabhängige Leben der Nomaden und Landstreicher
Vor 5000 bis 8000 Jahren wurde der Mensch sesshaft. Doch zuvor zog er über viele Jahrtausende als Nomade durch die Lande, entdeckte die Welt, entwickelte handwerkliche Fähigkeiten und lernte das Feuer zu beherrschen.
Glaubt man der Wissenschaft, so zwang ein Klimawandel den Affen, sich zu verändern. Heute nennen wir uns Homo Sapiens – aufrecht gehend, vom Gejagten zum Jäger geworden, intelligent und zahlreich. Doch unsere Probleme sind größer denn je.
Der aktuelle Klimawandel wird erneut eine große Herausforderung sein. Damals gab es nur wenige, heute sind wir fast acht Milliarden. Der Lebensraum wird enger, die Ressourcen knapper – und die Abhängigkeiten größer.
Lebensraum
Es macht einen großen Unterschied, ob man in der Natur oder in einer technologisch fortschrittlichen Gesellschaft ohne Naturkenntnisse aufgewachsen ist. Die Natur ist der unmittelbare Lebensraum für alles Lebendige. Alles, was ich brauche, bekomme ich von ihr. Alles, was ich nicht brauche, wird mir in der Gesellschaft verkauft.
Die Natur hat mich geprägt, mir eine wunderbare Kindheit geschenkt und die Grundlagen meiner Persönlichkeit gelegt. Trotz Schulbildung und Umerziehung sind die frühen Lehren der Natur bis heute mein Fundament geblieben.
Angst und Geld hab ich noch nie gehabt, dafür aber alle Zeit der Welt.
Ich kenne nicht alle Namen der Vögel, aber ihr Zwitschern begleitet mich durch den Tag. Ich kenne nicht alle Namen der Bäume, aber ich weiß sie zu nutzen, schätze ihren Schatten am Tag und ihre Geborgenheit in der Nacht. Ich kenne nicht alle Namen der Menschen, aber ich weiß, wie ihnen zu begegnen ist. Ich kenne die Gesellschaft – und weil ich sie kenne, streiche ich durch das Land.
Über die Landstreicher, Heimatlosen, Vagabunden.
Hermann Hesse hat es in sehr schönen Worten beschrieben,
Keinem Menschen gehorsam, abhängig nur von Wetter und Jahreszeit, kein Ziel vor sich, kein Dach über sich, nichts besitzend und allen Zufällen offen, führen die Heimatlosen ihr kindliches und tapferes, ihr ärmliches und starkes Leben.
Sie sind die Söhne Adams, des aus dem Paradies Vertriebenen, und sind die Brüder der unschuldigen Tiere.
Aus der Hand des Himmels nehmen sie Stunde um Stunde, was ihnen gegeben wird: Sonne, Regen, Nebel, Schnee, Wärme und Kälte, Wohlsein und Not. Es gibt für sie keine Zeit, keine Geschichte, kein Streben, und nicht jenen seltsamen Götzen der Entwicklung und des „Fortschritts“, an den die Hausbesitzer so verzweifelt glauben.
Ein Vagabund kann roh und zart sein, kunstfertig oder tölpisch, tapfer oder scheu, immer aber ist er im Herzen ein Kind, immer lebt er am ersten Welt-Tage, vor Anfang aller Geschichte, immer wird sein Leben von wenigen einfachen Trieben geleitet.
Aus der Hand des Himmels nehmen sie Stunde um Stunde, was ihnen gegeben wird: Sonne, Regen, Nebel, Schnee, Wärme und Kälte, Wohlsein und Not. Es gibt für sie keine Zeit, keine Geschichte, kein Streben, und nicht jenen seltsamen Götzen der Entwicklung und des „Fortschritts“, an den die Hausbesitzer so verzweifelt glauben.
Ein Vagabund kann roh und zart sein, kunstfertig oder tölpisch, tapfer oder scheu, immer aber ist er im Herzen ein Kind, immer lebt er am ersten Welt-Tage, vor Anfang aller Geschichte, immer wird sein Leben von wenigen einfachen Trieben geleitet.
Er kann tief in sich wissen, wie gebrechlich und vergänglich alles Leben ist, und wie arm und angstvoll alles Lebendige sein bisschen warmes Blut durch das Eis der Welträume trägt, oder er kann bloß kindisch und gierig den Befehlen seines armen Magens folgen, – immer ist er der Gegensatz und Todfeind des Besitzenden und Sesshaften, der ihn hasst, verachtet und fürchtet, denn er will nicht an all das erinnert werden: nicht an die Flüchtigkeit alles Seins, an das beständige Hinwelken alles Lebens, an den unerbittlichen eisigen Tod, der rund um uns das Weltall erfüllt.

Abenteuer im Wind!
Vom Zauber der Natur und ungetrübter Lebensfreude im Licht der wandelnden Sonne.
Vom Zauber der Natur und ungetrübter Lebensfreude im Licht der wandelnden Sonne.
vom Landstreicher
Wohin gehst du? Wohin ich gehe? Wer weiß das schon, wohin er wirklich geht. Heute bin ich hier, morgen schon wieder ganz woanders. Was gestern noch richtig schien, könnte morgen schon falsch sein. Aber ich gehe. Ich gehe zu Fuß, so frei es mir möglich ist, losgelöst von gesellschaftlichen und materiellen Zwängen.
Ich bin nicht wichtig, aber ich bin – und das ist wichtig. So streicht die Zeit durch mich, während ich durch das Land und die Zeit streiche. Wie alles im Universum ziehe auch ich meine Kreise, deren Bahnen bestimmt werden durch die Umstände, in die ich mich begebe.
Ein steter, guter und allgegenwärtiger Begleiter hier draußen ist nicht die Angst, sondern die Gewissheit der Vergänglichkeit – der Tod. Ohne ihn wäre ich eine unendliche Geschichte. Doch durch ihn finde ich den Mut zu sein, Wahrheit zu akzeptieren und Glück zu leben. In kalten Nächten sitzen wir am Feuer und betrachten in dessen lodernden Flammen die Vergänglichkeit allen Seins. Dann wieder ziehen wir gemeinsam des Weges, umgeben vom Zauber der Natur und ungetrübter Lebensfreude im Licht der wandelnden Sonne.
Jeder Tag und jede Nacht ist aufs Neue eine Überraschung – ein neues Erlebnis, ein neues Abenteuer – und der Wind weht um meine Nase. Ich liebe die Gerüche, die Düfte, die Stimmen, die Frische, die er mir aus der Ferne bringt. Mal stürmisch, mal sanft, manchmal kaum wahrzunehmen. Ganz selten nur hält er inne, um sich dann allein um mich zu drehen, als wolle er mit mir tanzen.
Tief atme ich ein und aus. Ja, ich lebe – lebe auf diesem einzigartigen Planeten.
N. W. Baron