Alpenüberquerung 1996. Erinnerungen, Begegnungen & Zeitzeugen

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Alpenüberquerung 1996. Erinnerungen, Begegnungen & Zeitzeugen

Autark, autonom & frei!
Veröffentlicht von N.W.Baron in Begegnungen · 8 Oktober 2022
Tags: WandernmitPferd.PacktierPacksattelAusrüstungAlpentourTourenBericht
 
Erinnerungen einer Alpenüberquerung.
Mit zwei Pferden, Packpferden, Packtieren wandern wir von Längenfeld im Ötztal über die Alpen nach Riva am Gardasee.
Touren und Erlebnis Bericht einer Alpenüberquerung mit Packpferd zu Zeiten, als das Trekking-Säumen / Wandern mit Pferd und Transalp Touren noch sehr außergewöhnlich und selten waren.

Die Alpen sollen es sein, am besten eine Alpenüberquerung und nicht auf den einfachen Wegen, wenn schon dann auf die harte Tour. Auch nicht unten herum, nein hoch hinaus. So wollte ich es haben, so habe ich es bekommen und noch vieles mehr.
Ich brauche dich, sagte ich zu ihm, für eine Härtetest- Tour und du musst mitkommen und diese Tour vorher auch grob planen und fotografisch festhalten. Dir sind die Alpen vertauter und bekannter als mir. Zwei Wochen haben wir dafür Zeit. Das war die Ansage am Telefon. Ich lebte zu dieser Zeit am Niederrhein nahe der hölländischen Grenze, er in Garmisch- Patenkirchen.
Im Jahr 1996, ich glaube Ende Juli war es, da haben wir uns am späten Nachmittag in Garmisch getroffen. Zuerst haben wir die die Pferde ausgeladen und diese für die Nacht gut untergebracht. Nach dem Essen haben wir bis früh in die Morgenstunden unser Wiedersehen sowie unser Vorhaben gefeiert. Tags darauf fuhren wir dann mit sehr dicken Köpfen von Garmisch nach Österreich. Gegen 14 Uhr haben wir Längenfeld erreicht, unser Startpunkt im Ötztal, wo unsere Tour beginnt.
Der Sommer bis dahin war alles andere als schön. Vorwiegend Regen und durchweg grauer Himmel. Selbst in den beiden Tagen auf der Fahrt vom Niederrhein über Garmisch hier her blieb die Sonne stehts hinter dicken Regenwolken verborgen. Bei solch einem Wetter zwei Wochen im Gebirge wandern, nein Danke. Doch leider gibt es jetzt kein zurück mehr. Der Hänger ist schon auf dem Weg nach Hause an den Niederrhein. In den vergangenen zwei Stunden wurde der Himmel etwas heller es hat auch nicht geregnet, bestimmt wird es jetzt, wo wir die Alpen überqueren wollen, endlich Sommer. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Aber vielleicht sollte ich erst mal erklären warum ich diese Tour eigentlich mache und mit wem ich unterwegs bin. Unterwegs bin ich mit den beiden Merensstuten Epompe und Eclair und meinem Bruder Ferdinand, der mächtigen Respekt vor den beiden Damen hat. Ferdinand ist in erster Linie auf dieser Reise über die Alpen für das Fotografieren zuständig. Er hat auch für uns diese Tour geplant, da er als Kletterer und Wildwasser- Paddler einigermaßen Ortskundig ist. Damals wurde noch nicht digital, sondern analog fotografiert. Da kam noch ein Dia-Film in die Kamera. Die Bilder wurden dann nach Jahren digitalisiert, worunter die Qualität sehr gelitten hat, wie man deutlich sehen kann. Aber die Geschichte zu den Bildern hat ihre Qualität keineswegs eingebüßt, im Gegenteil, die Erlebnisse und Eindrücke dieser Reise sind in den Jahren gereift.
Unterwegs sind wir nicht nur aus Spaß am Abenteuer. Der eigentliche Grund ist ein Härtetest. Die beiden neu entwickelten und maßgefertigten Kombi Reit- Packsättel sollen sich unter extremen Bedingungen beweisen und bewähren. Wo geht das wohl besser als hier in den Alpen?
Die beiden Merensstuten sind, wie Haflinger auch, eine Gebirgspferderasse. Sie werden in den französischen Pyrenäen am Ariège gezüchtet. Epompe und Eclair wurden aber in Holland geboren und haben bis zu dieser Zeit außer Maulwurfshügeln noch nie einen Berg gesehen.
Die Pferde sind fertig gesattelt, gepackt und ich bereit für das große Abenteuer. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen blickte ich links und rechts die steilen Hänge hoch und sehe diese in den Wolken verschwinden. Ein Vorgeschmack auf das was uns in den nächsten 14 Tagen bevorsteht. Es geht los, entlang der Ache in Richtung Sölden. Auch der Regen hat nicht lange auf sich warten lassen. Mir scheint, er möchte uns auf dieser Reise begleiten. Nun gut, so können wir direkt testen ob unser Regenschutz auch taugt.
Wenn das Wetter so bleibt wie in den vergangenen Monaten, dann werden uns auf dieser Wanderung über die Alpen Schwimmhäute wachsen.

    
Am frühen Abend stehen wir nach den ersten 15 Kilometern, die wir auf einem guten Wanderweg zurückgelegt haben kurz vor Sölden. Der Regen wird stärker und das Tal immer finsterer. Während ich mir Gedanken mache, wo und wie wir unsere erste Nacht verbringen können, was in diesem engen Tal nicht so einfach ist, kommt ein Bergbauer, der mit seinem kleinen Traktor Futtergras holen war an uns vorbei und hält an. Natürlich fallen wir hier auf wie bunte Hunde und die Menschen sind neugierig. Ich erzähle ihm von wo wir kommen und was wir uns vorgenommen haben. Frage natürlich auch direkt nach, ob er als uns Ortskundiger für die Nacht einen Platz empfehlen kann. Am liebsten auf einer Weide, wo wir auch unser Zelt aufbauen können.
Er hat lange überlegt, dann hat er den Kopf geschüttelt. Die Wiesen hier sind den Bauern heilig und nach dem vielen Regen völlig durchweicht. Die Pferde würden den nassen Weiden nur schaden. Toll, des Bauern Neugierde ist befriedigt, wir aber  keinen Platz für die Nacht und das bei einem Wetter, wo man noch nicht einmal einen Hund vor die Türe schickt. Aber so ist das, wenn man eine Härtetestreise unternimmt, die Route nur grob auf der Karte geplant hat, sich irgendwo aussetzen lässt und dann auf´s gerade Wohl ein weit entferntes Ziel zu erreichen versucht.
Nach dem der Bauer mich noch lange und eindringlich beäugt hatte, bot er uns an zu ihm nach Hause zu kommen. Er hätte seine Kühe oben auf der Alm, nur eine sei noch im Stall zum melken für die täglich frische Milch. Daneben könnten wir die Pferde anbinden. Dahinter sind die Schweinebuchten, eine davon ist frei und darin könnten wir, mein Bruder und ich, die Nacht verbringen. Geil dachte ich, hier im Regen stehend und dann noch first class. Natürlich habe ich nicht lange überlegt und ohne zu zögern zugesagt. Hab mir erklären lassen wo in Sölden sein Hof ist und mich auf direktem Wege dahin begeben bevor er es sich nochmal anders überlegt.
Die beiden Merensstuten sind nicht wirklich groß, aber der Stall ist so klein und niedrig, dass wir draußen absatteln mussten um unter dem Stalltor hindurch in den Stall zu gelangen.



Der Eingang zum Stall, die Pferde trauen sich nicht wirklich hinein. Das Grauvieh ist sehr klein und hat eine tägliche Milchleistung von ca. 10 Litern. Eine Schwarz Bunte Holsteiner Hochleistungskuh hingegen kommt auf ca. 40 Liter am Tag. Aber mit dfer Milchqualität kann die Schwarz Bunte nicht mithalten.
Finde die Kuh!
Hinter den Pferden ist hinter dem schrägen Brett das Bein der Kuh zu sehen. Nebenan ist unser Zimmer, dahinter die Schweine. Man sieht sie nicht, aber man hört und riecht sie.

  
Kaum haben wir ein Dach über dem Kopf, lässt der Regen nach. Schon bereue ich es uns hier in diesem engen muffigen Stall zu einquartiert zu haben und wäre lieber draußen auf einer Wiese. Die Decke ist so niedrig, dass die Pferde ihr Genick ordentlich einziehen müssen. Sie fühlen sich hier nicht wirklich wohl, aber dafür gibt es ein sehr gutes Bergwiesen Heu in Hülle und Fülle.  Schlimmer geht immer denke ich mir, diese eine Nacht werden wir doch überstehen.
Nach dem wir uns hier im Stall eingerichtet, und die Pferde gut versorgt haben, stehen plötzlich die vielen Kinder des Bauern da, sechs Stück. Sie sind uns schon beim absatteln emsig zur Hand gegangen und haben ohne viel zu reden einfach mit angepackt. Ich war sehr überrascht über das selbstbewusste und tatkräftige Verhalten der Kinder. Selbst der jüngste, der höchstens fünf Jahre alt war hat die größte Tasche gepackt und ins trockene getragen. Stolz, die Pferde und uns beherbergen zu können werden wir aufgefordert ihnen ins Haus zu folgen.  Dicht gedrängt sitzen wir nun zusammen mit der gesamten Familie in der Küche am Tisch. Still, aber mit großen, wachen Augen schauen die Kinder uns an und lauschen gespannt den Fragen des Vaters und dem daraus entstehendem Gespräch über uns, die Pferde und unsere Abenteuer Reise die hier im Ötztal beginnt und zunächst über den 3000 Meter hohen Pass am Similaun nach Italien führen soll.
Die Mutter steht an einem altertümlichen, sehr großen mit Holz befeuertem Herd, der unter anderem für eine angenehme heimelige Wärme in der Küche sorgt. Sie bereitet auf der offenen Flamme in einer riesigen schwarzen Eisenpfanne eine traditionelle Ötztaler Speise zu. Ein sogenanntes
"Arme Leute Essen."
Es ist eine Art Mais Polenta die zur Feier des Tages mit ausgelassener Butter serviert wird. Die riesige schwarze Eisenpfanne wird auf den Tisch gestellt, jeder bekommt einen Löffel und wir sind zum Essen eingeladen.
Ich kannte das bis dahin nur aus Erzählungen meiner Mutter die aus einer Bauernfamilie kommt. Früher wurde oft eine große Pfanne oder ein Topf in denen ein einfaches Mal zubereitet wurde auf den Tisch gestellt und alle konnten mit ihrem Löffel daraus essen. So wurde niemand gezwungen seinen Teller leer zu essen und andererseits musste jeder sich diszipliniert und rücksichtig am Topf oder der Pfanne verhalten.
Zu der Polenta wurde frische, sehr schmackhafte Milch gereicht und ich hätte eigentlich glücklich und zufrieden sein können in dieser wunderbaren gastfreundlichen Familie, wenn da nicht dieses kleine Glas Bier auf dem Tisch gestanden hätte.
Diese Bauernfamilie mit sechs Kindern, zehn Kühen und drei Sauen ist eher eine arme Familie. Es herrscht das Patriarchat. Der Vater verdient mit allen möglichen Gelegenheitsarbeiten das Geld für die Familie, währen der größte Teil ihrer Nahrung der kleinen Landwirtschaft abgerungen wird. So sitzt der Vater und Bauer als Patriarch der Familie an der einen Stirnseite des Tisches. Der älteste Sohn, der mit 17 Jahren einen reifen und erwachsenen Eindruck macht sitzt direkt zu seiner rechten. Es scheint, dass er schon sehr damit vertraut ist, eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Bestimmt wird er einmal den Hof übernehmen. Nach ihm reihen sich die anderen Kinder um den Tisch und dazwischen sitzt die Mutter und Bäuerin. Ich sitze zur linken des Bauern, mit meinem Bruder neben mir, schließen wir den Kreis am Tisch in dieser für mich besonderen Familie.
Nun, ich habe schon einige Gläser dieser würzigen, sehr nach Bergkräutern schmeckenden Milch getrunken, aber dennoch wurden meine Blicke immer wieder von diesem kleinen köstlichen Glas Bier angezogen. Die Flasche Bier dazu steht nicht auf dem Tisch neben dem Glas, nein sie steht auf der Erde neben dem Stuhl auf dem das Familien Oberhaupt sitzt und wird nur zum nachschenken hoch geholt.
Das ich dieses Geschehen beobachtete blieb nicht unbemerkt, und mir wird mitgeteilt, das wir Milch trinken können so viel wir wollen, aber das Bier ist ein Privileg, das einzig dem Vater zu steht.
Wir sitzen noch einige Zeit zusammen und ich versuche in Erfahrung zu bringen, ob es möglich ist mit den beiden Packtieren oben am Similaun über das Joch zu kommen. Dabei muss ich feststellen, das noch niemand der Familie dort oben am Joch war, wo Jahre später der Ötzi gefunden wurde.
So wünschen wir uns eine gute Nacht, und gehen neben grunzenden Schweinen schlafen. Das genüssliche Kauen der Pferde lässt mich ruhig einschlafen, weiß ich doch dass sie genug zu fressen haben und für die Nacht bestens versorgt sind.
Der grollende Lärm eines Donners reißt uns jäh aus dem Schlaf, das grelle Licht der Blitze erhellt durch die kleinen Stallfenster wie in Horrorszenen den dunklen Stall. Es regnet in Strömen, das Gewitter befindet sich unmittelbarer über uns. In Anbetracht der aktuellen Wettersituation genieße ich zwar unser Lager hier im Stall und bin froh nicht draußen auf einer Wiese zu sein, aber ich finde in dieser Nacht keinen Schlaf mehr. Erst in den frühen Morgenstunden hat sich das Gewitter beruhigt und der Regen etwas nachgelassen. Das ist kein Wetter, um sich in Höhen von über 2000 Metern herum zu treiben und dort zu campieren, dabei wollen wir doch heute hoch auf 2500 Meter zur Martin- Busch Hütte, unserem heutigen Ziel.
Können wir starten, oder müssen wir auf Grund der extremen Wetterlage anders planen?
Die Pferde wurden nochmal gut mit Heu versorgt, das Lager ist in den Taschen verstaut, alles ist zum satteln und packen vorbereitet. Wir bekommen noch einen gemütlichen Kaffee und blicken voller Sorge aus dem Fenster der Küche. Dicke Regenwolken ziehen auf Augenhöhe durch das Tal und sind nicht gerade motivierend um den Platz hier am warmen Küchenherd zu verlassen.
                                                                                                                                                   Packsattel Packtaschen Packtier Packpferd  
Auf, es geht los. Kaffee ist getrunken die Gastfreundschaft wurde genug in Anspruch genommen. Die Pferde müssten auch fertig sein mit fressen und sind bestimmt froh, aus diesem engen Stall zu kommen. Wir bedanken uns herzlich verabschieden uns und machen uns bei leichtem Regen auf den Weg Richtung Zwieselstein über Vent hoch zur Martin Busch Hütte. Wir kommen gut voran, der Himmel ist uns gut gesonnen und bleibt weitgehend trocken, Wahrscheinlich hat er sich heute Nacht zu sehr verausgabt und ist jetzt einfach nur leer. Am späten Vormittag erreichen wir Zwieselstein. Hier reißt zu unserer großen Freude für einen kurzen Augenblick die Wolkendecke auf. Ein großer blauer Fleck entsteht am Himmel durch den die Sonne strahlt. Unglaublich, was für eine Lebensenergie dieses warme  Licht der Sonne nach all den Wochen der Trübheit freisetzt. Morgen ist Vollmond, mit ihm könnte eine Wetterveränderung eintreten. Wäre wünschenswert doch noch einen schönen Rest- Sommer hier in den Alpen zu bekommen. 14 Kilometer entlang der Venter Ache führ uns nun der Weg nach Vent. Dies ist die letzte Ortschaft in diesem Tal. Es ist nun wichtig, das für die Pferde, wo immer es möglich ist, Fresspausen eingelegt werden. Futter in diesen Regionen ist nicht einfach zu organisieren. Die Bauern wollen nichts hergeben, denn die Heuernte in diesem Jahr ist durch dan anhaltenden Regen buchstäblich ins Wasser gefallen.
Die Berge links und rechts von uns sind nach dem kurzen Sonnenschein wieder in Wolken gehüllt und bleiben unseren Augen weiterhin verborgen. Doch auch das Wenige dieser wilden ursprünglichen Landschaft, das unter der tiefen Wolkendecke zu sehen ist beeindruckt auf sehr mystische Art im Nebeldunst der tief schwebenden Wolken.
Die Ache führt nach dem Starkregen der letzten Nacht Hochwasser und stürzt imposant mit lautem Getöse das Tal hinunter. In Bodenegg einer kleinen Siedlung mit kaum zehn Höfen führt der Weg auf einem schmalen Holzsteg über dieses reisenden Wildwasser hinweg. Es ist ein Schild am Steg angebracht, worauf geschrieben steht:
"Zugelassen bis 300 Kilogramm"
Ein Pferd, zusammen mit mir und dem Gepäck wiegt das doppelte. Wenn wir den Steg zum Einsturz bringen, werden wir in diesem Wildwasser ersaufen. Nun was tun? Umdrehen, zurücklaufen und woanders auf die andere Seite wechseln, eigentlich keine gute Idee. Ich inspiziere das hölzerne Bauwerk sehr genau und versuche es in seiner Tragfähigkeit für meinen Vorteil neu zu definieren. Ein sehr alter Mann schaut mir dabei zu bis er dann ganz trocken meint, dass ich mit den Pferden ohne Sorge daüber laufen kann, der hält das aus. Er treibt täglich seine Kühe darüber. Mit seinem Wort in Gottes Ohr queren wir die wilde Ache und der Steg hat gehalten, was der alte Mann versprach. Wir wechseln noch schnell einige Worte und ziehen mit einem freundlichen Gruß weiter. Noch haben wir fast dreißig Kilometer vor uns. Das Tal nach Vent ist stellenweise so eng und steil, dass wir gezwungen sind weite Strecken auf der einzigen Straße zurück zu legen, da es keine Wanderweg gibt. So müssen wir auch hunderte Meter durch einige stockfinstere Tunnels deren Enden durch die Biegungen nicht zu sehen sind. Zum Glück hält sich der Verkehr in Grenzen, denn der Lärmpegel eines Autos im Tunnel ist derartig unangenehm und laut. Auch ist es für uns sehr gefährlich, da wir in der Dunkelheit schlecht erkannt werden und wir auf  keinen Gehsteig ausweichen können.
Nach dieser unangenehmen und Nervenaufreibenden Strecke auf der Straße, sind wir gegen 14 Uhr in Vent. Ein kleines auf Tourismus ausgerichtetes Dorf. Hier endet auch die Straße. Auf acht Kilometer müssen jetzt noch 600 Höhenmeter bewältigt werden. Bei einem Ziegenbauer bekommen Eclair und Epompe nochmal ordentlich zu fressen und ich kann einen Sack mit Heu füllen den wir mitnehmen.  Auf 2500 Meter, wo wir diese Nacht unser Lager aufschlagen, wächst für die Tiere kein Futter mehr.


Wir verlassen Vent und du glaubst es nicht, es fängt wieder an zu regnen. Immer noch sind die Gipfel der Bege in Wolken gehüllt und es bleibt uns nach wie vor vergönnt die ganze Schönheit der Berge im Licht einer strahlenden Sonne zu betrachten. So geht es im wahrsten Sinne des Wortes einigermaßen angepisst weiter hoch zur Hütte, unserem heutigen Etappenziel.
Hier oben auf 2000 Meter Höhe sind wir der Witterung schutzlos ausgeliefert. Zudem weiss ich nicht was uns auf der Hütte erwartet. Die Stimmung ist inzwischen so trübe, wie das Wetter selbst und wir käpfen uns im Regen Schritt für Schritt nach oben. Selbst die Pferde zeigen mir, dass sie für heute eigentlich genug haben.

Doch dann geschieht das unglaubliche. Wie aus dem Nichts weht plötzlich ein sehr starker fast stürmischer Wind die Wolken, die sich seit Tagen an die Gipfel krallen von einem Moment auf den anderen einfach hinweg. Die Höhen und Tiefen um uns herum bekommen endlich ein Gesicht und zeigen sich im Licht der späten Nachmittags- Sonne unter einem blauen Himmel.
Die Landschaft die wir nun zu sehen bekommen ist berauschend und in Anbetracht dessen was uns auf dieser Tour noch bevor steht gleichzeitig auch ernüchternd.

  
Der starke Wind hält an, aber vor allem hält er die Wolken fern. Die letzten Kilometer
hoch zur Hütte ziehen sich zäh dahin, die Kräfte in meinen Beinen schwinden. Der blaue Himmel und die Nachmittagssonne motivieren und mobilisieren die letzten Kraftreserven.
Dann endlich, hinter der letzten Biegung bekommen wir erstmals unser heutiges Ziel vor Augen. Nur noch wenige Meter bis zur Hütte, dann haben wir es geschafft!
Erledigt, aber glücklich, wir haben unser erstes Etappenziel erreicht und werden von der Belegschaft der Martin Busch Hütte neugierig und freundlich empfangen.
Nur kurz können wir diesen netten Empfang und die herrliche Landschaft in der abendlichen Sonne genießen. Hatte am Nachmittag der Wind die Wolken aus den Gipfeln gerissen und fortgeblasen, jagen diese jetzt aus der Tiefe der Täler, wie eine Herde wilder, galoppierender Pferde hier nach oben. In wenigen Minuten ist außer der Hütte um uns herum nichts mehr zu sehen. Umgeben von dieser
düsteren und unheimlichen Stimmung fällt die Temperatur schlagartig in den Minusbereich.


Wir bekommen die Erlaubnis, hinter der Hütte unser Lager für die Nacht aufzubauen, aber...ich soll mit dem Kopf zum Glescherbach hin schlafen, meint der Wirt. Ja, ich kann den Bach gut hören, wie er in unmittelbarer Nähe mit Getöse in die Tiefe stürzt. Im Nebel der Wolken ist davon aber nichts zu sehen. Warum mit dem Kopf zum Bach frage ich? Damit es mir die Dummheit aus dem Schädel zieht antwortet er. Es ist zu gefährlich mit den Pferden über das Joch am Similaun zu gehen. Wann war das letzte mal jemand mit Pferd hier oben? Zuletzt nach dem Krieg als das hier noch eine Zollstation war, aber das war lange vor meiner Zeit erzählt mir der Wirt.
Ich decke die Pferde ein, füttere sie mit dem Heu das wir in Vent mitgenommen haben, baue das Zelt auf und richte unser Schlaflager her. Müde und ausgezehrt von den ungewohnten Strapazen des heutigen Tages, verbringen wir den Abend in der Hütte. Mein Reisebudget ist knapp, das meiste des Ersparten wurde in die Organisation dieser Reise investiert. Aber egal, heute spendiere ich uns ein deftiges Abendessen und ein paar Gläser Bier. Inzwischen ist es draußen Dunkel geworden. Ich gehe raus und schaue nach den Pferden. Sie sind nicht wirklich hungrig und gefräsig.
Bestimmt sind sie ein wenig irritiert und wissen nicht wirklich wie ihnen geschieht. Auch für die Tiere ist diese Reise eine extreme Veränderung und sie werden noch zwei bis drei Tage brauchen, bis sie wirklich hier in den Bergen angekommen sind.
Und du wirst es nicht glauben, es regnet schon wieder.
Die Temperatur liegt um Null Grad und hat überhaupt nichts mit denen einer lauen Nacht im Sommer zu tun. Schnell wieder ins Warme.
Gesellig und gemütlich ist es in der Stube. Am Stammtisch der Einheimischen erfahre ich, dass es wohl kaum möglich ist, mit den Pferden über das 3000 Meter hohe Joch am Similaun nach Italien zu kommen. Es gibt dort einige Passagen, die die Tiere nicht bewältigen können. Natürlich ist das nicht das, was ich hören wollte, aber dennoch ernst zu nehmen habe. Die Einheimischen kennen ihre Umgebung, ich noch nicht. Troz alle dem möchte ich den Anstieg morgen in aller Frühe zum Joch zu wagen. Vor Ort will ich mich selbst von den Gegebenheiten und Möglichkeiten das Joch zu bezwingen, überzeugen.
In regennasser  Kälte kriechen wir in unsere Schlafsäcke. Was denken wohl die beiden Damen Eclaire und Epompe? Gestern mussten sie den kleinen niedrigen Sall in Sölden mit einer Kuh und drei Schweinen teilen, heute stehen sie hier oben auf 2500 Meter Höhe im freien und die Witterung ist alles andere als angenehm. Mit gemischten Gefühlen schlafe ich ein und sage mir, morgen ist ein anderer Tag.
Gegen zwei Uhr in der Nacht wache ich auf. Hell wach! Von außen beleuchtet ist es so hell im Zelt, das ich ohne Lampe alles darin erkennen kann. Mein Bruder neben mir schläft selig und zufrieden. Für das Licht der Morgendämmerung ist es viel zu früh. Etwas verstört und verwundert möchte ich das Zelt öffnen um nach den beiden Stuten und dem ominösen Licht zu schauen. Der Reißverschluss am Zelt lässt sich nicht öffnen. Was geschieht hier gerade. Irgendwie bin ich im falschen Film. Mit Kraft schaffe ich es ihn ein Stück zuöffnen und habe Sorge, dass ich ihn dabei zerreiße. Mein Kopf passt nun durch den Schlitz und mir wird schnell klar was da draußen sonderbares geschieht. Auf dem Zelt befindet
sich eine Zentimeter dicke Eisschicht, wodurch der Reißveschluss blockiert wurde.
Der Himmel ist Sternenklar und der volle Mond ist erst vor wenigen Minuten über den Gipfeln aufgegangen.
Das Hochtal bis hinauf  zum Similaun erscheint traumhaft schön in seinem Licht. Die Schneebedeckten Gipfel leuchten strahlend hell aus der Dunkelheit. Glasklar und eisig kalt ist die Nacht.
Eclair und Epompe stehen sehr ruhig da, beide schauen andächtig in die Ferne. Genauso wie ich, staunen auch sie über den Zauber dieser nächtlichen Landschaft im vollen Licht des aufgehenden Mondes.
Mit der Morgendämmerung beginnt auch unser Tag. Gerne würden wir noch liegen bleiben, stehen
aber auf und bereiten uns auf das heutige große Abenteuer vor. Da ich nicht weiß, was uns dort oben auf 3000 Metern erwartet, möchte ich schon sehr früh aufbrechen.
Und du wirst es nicht glauben, es regnet nicht!
Nein, im Gegenteil, wir werden an diesem Tag mit einem strahlend blauen Himmel begrüßt.
Ok, ein paar Wolken sind noch zu sehen, aber das Blau am Himmel überwiegt und war seit Wochen so nicht mehr zu sehen. Vielleicht kommt mit dem Vollmond eine Wetteränderung und mit ihr ein Hoch, das uns viel Sonne und beständiges Wetter auf dieser außergewöhnlichen Tour beschehrt.


Die Pferde bekommen ihr Heu, das Zelt muss enteist werden alles wird zusammengepackt und in den Taschen verstaut. Solange die Pferde fressen, trinken wir in der Hütte noch gemütlich einen Kaffee und beobachten das emsige treiben rund um uns herum. Wie wir sind schon viele Wanderer früh auf den Beinen. Auch sie wollen hoch zum Similaun und von dort über den Pass nach Italien. War es gestern noch gemütlich laut hier in der Hütte, sind die Wanderer heute recht still mit ihrem Frühstück beschäftigt. Es liegt eine Spannung in der Luf, die so kurz vor dem allgemeinen morgendlichen Aufbruch sehr gut zu spüren ist.
Ich genieße einen Kaffe,  aber nach frühstücken ist mir nicht zu mute. Während Epompe und Eclair ihr Heu nicht wirklich genüsslich, sondern eher gelangweilt fressen, machen sich die ersten Wanderer schon auf den Weg. Den beiden Mädels geht es wohl wie mir, die Höhenluft, die gestrigen Strapazen und die Aufregung haben uns anscheinend den Appetit genommen. Ich packe das übrig gelassene Heu in den Sack, gebe den Tieren noch Wasser, anschließend wird gesattelt und aufgelastet. Höchste Zeit, das wir in die Puschen kommen.
Hier beginnt nun der schwierige Teil, der uns heute auf dem Weg über den Pass bevorsteht. Es ist kaum ein Pfad in dieser steinigen Landschaft zu erkennen. Die rot-weiße Farbmarkierungen auf den Steinen zeigen uns die Richtung an in die wir gehen müssen.
Die Pferde scheinen auch nur wenig Begeistert von dieser ungewohnten kargen Landschaft zu sein. So stolpern wir die ersten Höhenmeter dahin und sind bemüht uns schnellst möglich an die ungewohnt beschwerlichen Bedingungen dieser Umgebung zu gewöhnen. Noch sind wir weit von der Passhöhe entfernt.
Immer wieder kommen mir die Worte in den Kopf, die der Hüttenwirt mir gestern nahe gelegt hat. Der Weg über den Pass ist für die Tiere zu gefährlich. Während ich das Gelände betrachte, das sich zunehmend verändert und schwieriger wird kommt uns die erste Gruppe von Wanderern entgegen. Etwas verwundert staunen sie nicht schlecht über uns. Sie kommen von Italien und haben die Nacht oben am Similaun in der Hütte verbracht von wo sie heute in der Frühe gestartet sind.
Im Gespräch mit dem Bergführer, der diese Gruppe Wanderer anführt erfahre ich erneut, was ich eigentlich nicht hören möchte und alles noch detaillierter. Es gibt auf dieser Strecke Passagen, die die Pferde unmöglich meistern können.
Wenn nicht ihm, wem soll ich dann glauben? Sie wünschen uns alle noch viel Glück und ziehen
fröhlich weiter hinunter ins Tal Richtung Vent.
Etwas niedergeschlagen und enttäuscht sitze ich nun hier und muss für uns eine Entscheidung treffen.
Ich denke der Bergführer kann das gut und richtig beurteilen. Das Wohl der Tiere steht an vorderster Stelle, ihre Gesundheit leichtfertig zu riskieren kommt nicht in Frage. So will ich nicht unnötig Zeit und Energie damit verschwenden, mich selbst davon zu überzeugen ob es möglich ist oder nicht mit den Pferden über den Pass zu kommen.
Ich gebe mich geschlagen. Die Natur in den Bergen hat mir wieder einmal gezeigt, wie klein und unbedeutend ich doch bin.  Dieser erste Anlauf, die Alpen zu überqueren scheitert hier auf ca. 2600 Meter, aber dehalb möchte ich nicht aufgeben. Es gilt nun eine alternative Route zu finden, über die wir unser Ziel, Riva del Garda doch noch erreichen können.
So schön und weitläufig die Berge sind, so gering sind die Möglichkeiten diese mit Packtieren auf urzeitlichen Pfaden zu überwinden. Eingehend studiere ich die Wanderkarten, die mein Bruder für diese Tour zusammengestellt hat. Die Ausschnitte der Karten sind zu klein, um einen alternativen Weg planen zu können. Wir sind gezwungen, zurück über Vent nach Zwieselstein zu laufen. Dort könnten wir eventuell neues Kartenmaterial besorgen und über das Timmelstal und das Timmelsjoch einen Weg nach Meran finden.

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Die Sonne scheint, was will ich mehr. Bei schönstem Wetter genießen wir den Abstieg nach Zwieselstein und sind guter Hoffnung. Der Weg ist sehr gut begehbar und nur in der Dunkelheit der Tunnels etwas spannend und gefährlich.






Kurz vor Vent bekommen wir Besuch aus den steilen Berghängen der Alm.



Da diese Straße im Tal die einzige Verbindung zwischen den Dörfern ist, werden die Tunnels bei bestehendem Verkehr erneuert und erweitert.




Der Frust von heute Morgen wurde schnell von dieser beeindruckenden Landschaft überwältigt und in pure Lebensfreude verwandelt. Was gestern noch zum größten Teil von den tief hängenden dunklen Regenwolken verschluckt wurde, zeigt sich heute in seiner gesamten Schönheit unter einem strahlend blauen Himmel. Vent liegt hinter uns und wir erreichen am frühen Nachmittag Bodenegg, wo wir auf dem schmalen Steg über die Ache müssen. Der Alte Mann, den wir gestern schon dort getroffen haben steht  da, als würde er uns erwarten. Wir liegen gut in der Zeit und müssen heute nur noch wenige Kilometer nach Zwieselstein schaffen. So komme ich mit ihm ins Gespräch und erfahre viel Interessantes über ihn und die Vergangenheit hier aus diesem Tal.




  



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